Fassaden
Das Gängeviertel ist dieser Tage in aller Munde.
[Wer nicht hingehen will: Auf NOA4 gibt es einen hübschen Bericht
über das Viertel zu sehen.]


Dies ist meine Begegnung.

Von Fassaden; Donnerstag, 09.03.2006

Fassade
gestaltete, hervorgehobene Außenseite,
schöne Außenseite, die über etwas hinwegtäuscht


Dieser Block übt eine Faszination auf mich aus.
Ich gehe mit Absicht hier vorbei. Schaue in die Gasse.
Stelle mir vor, wie schön es einmal gewesen sein muss.


[reinschauen]

Es ist noch immer schön.
Eingepfercht zwischen futuristischen Neubauten,
behält es trotzdem seinen Charme.

Heute gehe ich nicht nur vorbei. Ich gehe weiter.
Steige die ausgetretenen Stufen hinauf und schaue durch das Glas.
Drinnen ist es nicht besser als von aussen. Es tut mir irgendwie leid.
Das Haus. In dem mal jemand gelebt hat. Und geliebt.
Sicher sind hier Kinder aufgewachsen.
Und bestimmt ist auch jemand hier gestorben.





Auf 2 Klingelschildern stehen noch Namen.
Als ich mich zum Gehen wende, öffnet sich die Tür.
"Guten Tag?", fragt er und sieht mich interessiert an.
Ich schätze ihn auf Mitte 60. Und er lebt wohl hier.
"Hallo", sage ich, "ich wollte mir nur das schöne Haus ansehen."
"Na da kommen Sie grade rechtzeitig, Frollein, es wird demnächst abgerissen."
"Oh, wie schade", sage ich, "kann man es nicht sanieren?"
Er zieht die Tür hinter sich zu und sagt: "Wissen Sie, das will keiner bezahlen.
Abreißen und neu bauen ist einfach billiger."
"Ja", sage ich nur, "das ist es wohl."

Ich glaube, die Menschen lieben einfach nichts mehr.
Sie lieben nichts.

Abends frage ich den Architekten. Der tagsüber den Hafen zubaut.
Ob das alles sein muss. Er antwortet nicht.
Er zieht mich nur zu sich ran.
Und küsst meine Stirn.
Meine eigene Fassade.

Kommentieren



monopixel, Samstag, 29. August 2009, 12:46
Ja, in den meisten Städten wird mit der alten Bausubstanz nahezu schamlos umgegangen. Ich könnte manchmal schreien vor Schmerz.
Hier in Berlin ist es anders, da wird saniert wie wild, weil man Wohnungen in alter Bausubstanz zu horrenden Preisen verkaufen kann. Das kotzt mich alles irgendwie an.

frl.deville, Samstag, 29. August 2009, 13:45
Finde ich aber irgendwie immer noch ehrlicher als abreissen. Irgendwie. Und... ganz ehrlich. Hätte ich das Geld. Wäre ich froh, könnte ich einen Altbau kaufen. Neubau kann ja jeder.

monopixel, Samstag, 29. August 2009, 14:13
Ja, natürlich würde ich das auch so machen wie Sie. Allerdings ist das so eine Sache, wenn plötzlich in so einer Gegend dann nur noch Leute wohnen, die sich das finanziell leisten können. Da ist dann nix mehr mit Individualismus und künstlerischem Flair. Das ist der eigentlich Preis, der dann gezahlt wird. Und ich bin mir sicher, da würden Sie sich dann auch nicht mehr wohlfühlen.

frl.deville, Samstag, 29. August 2009, 17:35
Das stimmt. Ich wäre genervt. Ich wohnte einige Zeit in St. Georg, als es noch nicht hip war. Dort zu leben. In einem SanierunXfall. Hatte ich eine wunderschöne Zeit. Heute bin ich nur noch zu Gast in diesem Stadtteil und froh, wenn ich wieder weg bin.

mark793, Samstag, 29. August 2009, 14:23
In meiner früheren Nachbarschaft in Mannheim hat die Stadt einen ganzen denkmalgeschützten Häuserblock aus der Gründerzeit jahrelang systematisch verrotten lassen, um für die geplante Neubebauung Fakten zu schaffen. Heute steht da ein seelenloser Backsteinklotz mit Tiefgarage, der aber wahrscheinlich mehr Rendite pro Quadratmeter bringt als wenn man die schönen alten Häuser ordentlich saniert hätte.

Die Stadt hat (wie die meisten in Deutschland) im Krieg viel abgekriegt. Aber Leute, die sich damit auskennen, haben mir glaubhaft versichert, dass in den Jahren nach dem Krieg bis in die 60er und 70er hinein fast genausoviel alte Bausubstanz weggekloppt wurde wie die Aliierten weggebombt haben.

Es ist irgendwie zum Kotzen.

frl.deville, Samstag, 29. August 2009, 17:37
Es ist! Und ich bin froh, dass ich in einem Haus mit Geschichte
wohne. Den Betonklotz ohne Seele. Den will ich nicht er_leben.

diagonale, Montag, 31. August 2009, 10:24
Da war ich am Samstag auch. Es war nur deutlich bunter:
http://diagonal.blogger.de/stories/1476312/
(Leider nur ein winziger Auschnitt)

Wir danken Herrn Kid für den Tipp!

frl.deville, Montag, 31. August 2009, 15:40
Das Leben ist bunt.
Bin aber froh, dass ich das noch unbunt gesehen habe.

Danksagungen an den Herrn Veranstaltungs K. alender müssten Sie allerdings woanders verstecken. Sonst findet der die nicht.